„Minderheiten als kompetente Botschafter zwischen Ost und West werden heute mehr denn je gebraucht – als wichtige Impulsgeber zur Stärkung des europäischen Zusammenhalts!“

Dresden. (ka) Zwei Tage lang findet in Dresden und Bautzen eine einzigartige internationale Konferenz zu einem Anfang des Jahres initiierten Europaprojekt statt. Das „European Minorities Network“ (EMN) breitet sich schon jetzt mit mehr als 30 Partnern in verschiedenen Ländern in der gesamten Europäischen Union aus. In einem solchen gesamteuropäischen Netzwerk übergreifender Sprach-Minderheiten und Völker liegen gerade in der heutigen dramatischen Situation in Europa, in der kompetente Botschafter zwischen Ost und West mehr gebraucht werden denn je, wichtige Impulse zur Stärkung des europäischen Zusammenhalts – davon zeigt sich David Chmelík als Präsident der europäischen Bewegung „Slavonic Europe“ (SE) in Brüssel überzeugt, der selbst sechs Sprachen fließend spricht und für das Europaprojekt „brennt“. Im Interview gibt er Einblicke in Chancen und Hintergründe des innovativen Netzwerks.

Nach dem Auftakt Anfang des Jahres in Brüssel wird nun das zweite gesamteuropäisches Treffen in Sachsen stattfinden, am 14. Juli in Dresden und am 15. Juli in Bautzen/ Budyšin. Was genau ist das Besondere, das „Lusatia Glow“ als Europäisches Minderheitennetzwerk (EMNet) zu bieten hat? Welche Aktionen sind aktuell geplant?

David Chmelík: Was wir anbieten, sind Kontaktmöglichkeiten in verschiedenen kulturellen Bereichen. Es gibt eine grenzübergreifende Sprachenlern-Plattform, Open-Air-Konzerte und eine Menge anderer Events. Am 14. Juli wird mit einem Festakt die Eröffnung der ständigen Vertretung des Europaprojekts „Lusatia Glow“ in Dresden auf der Schloßstraße eingeweiht und öffentlich gefeiert. Unter dem Motto “Welcome – Witaj – Willkommen Dresden! Mit den Sorben kommt Sachsen nach Europa!“ laden wir mit kulturellem Hintergrund von Musikeinlagen, sorbischem Bier und regionalen Köstlichkeiten Dresden dazu ein, mit dabei zu sein. Am nächsten Tag, dem 15. Juli, wird es eine Konferenz von Minderheitensprechern aus ganz Europa im sächsischen Bautzen / Budyšin geben. Der Ansatzpunkt ist es zu begreifen, was für ein Schatz in ihrer regionalen Kultur liegt, die sie über alle nationalen Grenzen hinaus bewahren, und diesen integrativen Umgang von den Minderheiten zu lernen. Ob es die Sorben sind, die Ostbelgier, Galizier oder die finnischen Samen – sie befähigen uns, in der Lage zu sein, Brücken über die Grenzen in ganz Europa zu schaffen. Unser einmaliges Integrationsprojekt schafft die Rahmenbedingungen dafür, dass grenzüberschreitende Minderheiten die treibenden Kräfte für mehr Zusammenhalt in der EU sein können.

Was ist neu im Vergleich zu anderen Vereinigungen wie z.B. der FUEN (Föderalistische Union Europäischer Nationalitäten), dem größten Dachverband für Minderheiten in Europa, der inzwischen schon mehr als 100 autochthone nationale Minderheiten und Sprachgemeinschaften aus 36 europäischen Ländern vertritt…

David Chmelík: Eine wichtige Arbeit, aber so nicht vergleichbar. Denn im Unterschied zu unserem European Minorities Network EMNet macht die FUEN keine eigenen Projekte. Wir dagegen versuchen mit unserem Rahmenprogramm, den „Glows“, die Energien zu aktivieren, die bei den Minderheiten schon vorhanden sind, und in eine expansive Bewegung grenzüberschreitender Zusammenarbeit zu bringen. Es ist eine neue Bewegung, die mit unserem Netzwerk angestoßen wird. Wir sind überzeugt, dass wir damit die verbindenden Interessen in ganz Europa sichtbar machen können. Es ist eine innere Gesetzlichkeit, dass Minderheiten in ihrer Besonderheit, innerhalb einer großen Gemeinschaft ihre eigene Identität zu leben, über eine ganz spezielle Stärke verfügen. Auf dieser Grundlage hat unser innovatives Netzwerk in der Tendenz einen Mehrwert für alle.

Welche Chance liegt denn gerade in der Lausitz, wo seit rund 1.500 Jahren die Sorben angesiedelt sind? Und was bedeutet genau „Lusatia Glow“?

David Chmelík: „Lusatia Glow“ bedeutet: die Lausitz leuchtet! Es ist ein Modell grenzübergreifender Sprachidentität und steht für Kultur- und Identitätskompetenz. Heute leben noch rund 60.000 Sorben und Wenden im Großraum der Lausitz, im deutsch-tschechisch-polnischen Dreiländereck. Eine ganz besondere slawische Minderheit, die mit einer eigenen Sprache und Kultur bis heute ihre ursprüngliche Identität mitsamt einem vielfältigen Brauchtum, traditionellen Trachten und Festen bewahrt und weiterentwickelt hat. Der Vorteil liegt in der Nachbarschaftspolitik. Zum Beispiel in Sachsen leben noch 10 – 15.000 sorbisch sprechende Sorben. Das wurde so noch nie genutzt, aber es liegt tatsächlich eine große Chance für Sachsen darin, dass die Sorben Sachsen sind: Die Chance nämlich, zu den Nachbarn in vielfältiger Weise mit grenzüberschreitenden Aktionen und neuen Kommunikationsmöglichkeiten zusammenzukommen. Das bedeutet: europäische Integration von unten. Mit unserem Rahmenprogramm laden wir den Freistaat dazu ein, mit uns aktiv zu werden und diese besondere „Scharnierscheibe“ zu nutzen. Auch in Brandenburg, Polen und Tschechien profitieren alle davon, wenn die entsprechenden Aktionen über das Jahr laufen. Indem sich das weiter einspielt, entstehen überaus tragbare transnationale Verbindungen. Mit diesem Netzwerk erfassen wir nach und nach ganz Europa, das von innen heraus gestärkt und gefestigt wird – ein wachsendes Demokratieprojekt über die innereuropäischen Grenzen hinaus. Es ist eine intelligente Integration, initiiert wird damit eine innovative Basiskohärenz für eine gestärkte EU.

Was hat Sie persönlich zu diesem großen Engagement motiviert? Sie haben schon viele Menschen in Ihrem Leben zusammengebracht, mehrere europäische Vereinigungen gegründet, sind vielfach kulturell engagiert – zum Beispiel wird beim Festakt von „Lausatia Glow“ in Dresden eine eigene Komposition von Ihnen uraufgeführt…

David Chmelík: Ich bin ein Freund der Fakten, trotz aller Visionen. Als halber Tscheche und halber Slowake, als Deutscher in Belgien und als überzeugter Gesamteuropäer habe ich dieses Feeling, dass es immer noch Ost-West-Grenzen gibt, dass man etwas machen muss und machen kann. Deshalb bin ich aktiv geworden, zum Beispiel mit dem European Club in Prag, mit der Belgisch-Deutschen Gesellschaft, auch als Mitglied der Europäischen Kommission war der Zusammenhalt von Europa aufgrund der kulturellen Gemeinsamkeiten mein großes Thema. Kultur wie zum Beispiel Musik ist grenzüberschreitend für junge Leute, gerade darin liegt eine Chance für das Zusammenwachsen von Mittel- und Osteuropa. Eine Gefahr liegt darin, wenn Länder weitgehend abgeschirmt sind, dann werden demokratische Bewegungen nicht wahrgenommen und das lässt sich durch gemeinsame kulturelle Erlebnisse aufbrechen. Ich selbst spiele Trompete und tatsächlich wird am 14. Juli in Dresden von einem Blechbläser-Ensemble, das aus Prag kommt, eine Slawische Fanfare von mir uraufgeführt. Wir haben – im Wechsel mit weiteren sehr schönen Musikeinlagen – hochkarätige Redner gewonnen und ich freue mich jetzt schon auf viele neue gesamteuropäische Begegnungen.

Als Gründer und Präsident von „Slavonic Europe“ haben Sie einen ganzheitlichen Ansatz, der die Kreativität in den Mittelpunkt stellt und die vielfältige slawische Kultur als verbindende Kraft hervorhebt. Worin besteht der Zusammenhang zum EMNet, um Menschen, Regionen, Nationen in Europa mehr zusammenzubringen?

David Chmelík: Neu ist es, die Kraft von Regionalkulturen zu erkennen, die in der EU ein Demokratie- und Kohäsionsfaktor sind. Mit dieser Perspektive ist das Europäische Minderheitennetzwerk ein Positiv-Projekt. Junge Menschen werden in ihrer Meinungsbildung gefordert, indem sie die Chance haben, vielfältige Kontakte und Erfahrungen über die Grenzen hinaus zu machen. Wenn sie dagegen in ihrem Land abgeschirmt sind von demokratischen Bewegungen, besteht die Gefahr, dass nationalistische Kräfte stark werden. Mit unserem Rahmenprogramm in allen Bereichen – Soziologie, Wissenschaft, Kunst, Kultur, Geographie – bieten wir vielfältige Anreize für grenzüberschreitende Kontakte. Eine wichtige Grundlage liegt in der Verständigungsmöglichkeit, also in einer gemeinsamen Sprache. Ausgehend von der gesamteuropäischen slawischen Kultur – der größten kulturellen Gruppe Europas – ist die historisch gewachsene enge Verwandtschaft der slawischen Sprachen ein verbindendes Element. Ober- und Niedersorbisch gehört dazu, das in der sächsischen und brandenburgischen Lausitz gesprochen wird. Sorbisch ist der westlichste Ausläufer und besonders verwandt mit westslawischen Sprachen wie dem Polnischen, Tschechischen und dem Slowakischen, die wiederum eng verwandt sind mit ostslawischen Sprachen wie Russisch, Ukrainisch, Belarussisch und südslawischen Sprachen wie Slowenisch, Kroatisch, Serbisch, Bosnisch, Bulgarisch und Mazedonisch. Es gibt also in vielen EU-Ländern eine gemeinsame sprachliche Kultur. Für eine bessere gesamteuropäische Verständigung haben wir die digitale Plattform des „IANUA“-Sprachlernprogramms entwickelt, ein innovatives digitales Sprachtool als 3-D-System.
Ein weiterer kommunikativer Ansatz grenzüberschreitender kultureller Begegnungen sind Open-Air-Konzerte, zum Beispiel direkt am 14. Juli kommt ein Blechbläserensemble aus Prag nach Dresden und spielt auf der Schloßstraße. Aber es sind vor allem Cross-Road Konzerte geplant, weg von den Hauptstädten, draußen auf dem Land, grenzüberschreitende Events für junge Leute. Wir gehen von ganz konkreten Projekten aus, die wir programmatisch vorbereiten und die sich weiterentwickeln. Genau das ist der Ansatz von „Lusatia Glow“, Glow bedeutet: ausstrahlen! Die einzelnen Projekte strahlen weiter aus, so dass die Bewegung sich weiterentwickelt und immer mehr Projekte initiiert werden.

Wir bedanken uns sehr herzlich für das Interview!

Weitere Informationen und das komplette Programm sind auf der Kongress-Homepage www.lusatiaglow.eu veröffentlicht.
Presseakkreditierungen bitte über die Kongress-Homepage oder direkt über den Pressekontakt.
Die Kongress-Pressekonferenz ist am 14. Juli, 14 Uhr im Steigenberger Hotel de Saxe, Dresden.

Veranstalter: SLAVONIC EUROPE Foundation
Ansprechpartner: Dipl.-Vw. David Chmelík, Präsident
Ort: Dresden und Bautzen / Budyšin
Termin: 14. und 15. Juli 2022
Pressekonferenz: 14. Juli, 14:00 Uhr, Steigenberger Hotel de Saxe, Neumarkt 9, Dresden
Pressekontakt: Kerstin Aldenhoff, Tel. +49 172 3516916 Kerstin.Aldenhoff@gmail.com

Hintergrund

„Lusatia Glow“ ist ein Gemeinschaftsprojekt der europäischen Bewegung SLAVONIC EUROPE (SE), des SERBSKI SEJM (demokratisch direkt gewählte Vertretung des sorbisch/wendischen Volkes), des ŁUŻYCKI ALIANS Wrocław (Gesellschaft zur Förderung der Lausitzer Kultur in Polen) und der LUŽICKÁ ALIANCE ČESKÁ REPUBLIKA (Gesellschaft zur Förderung der Lausitzer Kultur in der Tschechischen Republik)
Im Anschluss an den Festakt am 14. Juli in Dresden wird das Treffen am 15. Juli 2022 mit einer internationalen Konferenz in Bautzen / Budyšin über den Stand und die Entwicklung des European Minorities Network (EMNet) fortgesetzt. Neben den Vertretern von Minderheiten in ganz Europa werden hochrangige Vertreter der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments, Mitglieder des deutschen Parlaments, Vertreter der Stadt Dresden sowie internationale Gäste zu Wort kommen.